Wie geht man mit Literatur als Ausstellungsinhalt in einem modernen Museum um?
Öffentliche Fachtagung des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg mit Einblicken in verschiedene Ausstellungshäuser
Lichtempfindliche "Flachware", Inhalte, die sich erst beim intensiven Lesen erschließen, Gebäude als auratische Orte, die auf ihre Befüllung warten: Ausstellungsmacher, die es mit Zeugnissen von Literatur und Autoren zu tun haben, stehen vor vielfältigen und spezielleren Aufgaben als andere Museen. Die Fachtagung "Literatur ausstellen" in unseren Haus versammelte Expertenwissen aus ganz Deutschland und konnte damit den aktuellen Stand der Herangehensweisen und Techniken zusammenfassen.
Dabei wurde deutlich: Der Mut zur Reduktion auf wenige Objekte, zugleich aber die Weitung des Ausstellungsbegriffs hin zu interaktiven und medial vermittelten Formaten andererseits müssen die Aneinanderreihung von Beständen heute ablösen. Heike Gfrereis vom Deutschen Literaturarchiv Marbach sieht das Museum dabei auch als "Dritten Ort", nämlich nicht nur der Bewahrung und Präsentation von historischem Material, sondern auch der Vernetzung.
Es geht sogar auch ohne Haus
Die Möglichkeiten sind dabei in fast allen Institutionen durch bauliche und finanzielle Gegebenheiten abgesteckt: Manche haben noch gar kein richtiges Ausstellungshaus, wie etwa das Uwe-Johnson-Haus in Rostock, das momentan eigentlich "nur" eine Forschungsstelle ist und auf die architektonische Umsetzung wartet. Andere haben neue Ausstellungshäuser, die eigens für den Museumsinhalt konzipiert wurden wie das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt oder das Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg. Dabei stellt sich dann wieder die Frage nach der Authentizität des Raumes, die erst durch den "Zauber des Objekts" erfahrbar wird. Anne Bohnenkamp-Renken, Leiterin des Romantikmuseums, entschied sich mit ihrem Team für eindeutige Reduktion (35 Objekte auf 800 Quadratmetern Fläche). "Man muss zu den Lücken stehen", so die Museumsdirektorin.
In dieses Spannungsfeld tritt noch der Anspruch nach digitaler oder anderer medialer Aufbereitung des Ausstellungsthemas für unterschiedlichste Besuchergruppen. Während in Frankfurt Heinrich Heine die Werke seiner Zeitgenossen distanziert per Audiobegleitung kommentiert, sprechen im Gleimhaus in Halberstadt die Bilder: Die Besucher können einzelne Porträts, die Johann Wilhelm Ludwig Gleim von seinen zahlreichen Freunden anfertigen ließ (und vor denen er selbst seine Briefe schrieb), digital ansteuern und hören dann Auszüge aus den Werken und Briefwechseln. Das Projekt "Gleims Bücher" transportiert den Inhalt des Hauses sogar nach außen: In der Dämmerung kann man das Video mit Schauspieler Andre Eisermann durch die Glaswand ansteuern und sich aus zeitgenössischem Werken vorlesen lassen.
Besucher dürfen selbst aktiv sein
An diesem Beispiel wird klar: Nicht jede technische Lösung ist für jedes Ausstellungsthema geeignet, kreative Lösungen und Adaptionen der literarischen Werke sind gefragt. Bis hin zur echten Interaktivität, etwa der Aufforderung an die Besucher, selbst Gedichte zu übersetzen wie im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Im Haus der Bayerischen Geschichte hat man sich entschlossen, 200 Jahre Landesgeschichte am Wechsel der Generationen entlang zu erzählen. Die einzelnen Kojen bieten Bühnen, auf denen ein typisches Thema des Zeitabschnitts aufwendig inszeniert wird, während sich auf der Rückseite weiterführende Texte und Grafiken finden. "Wir wollen Geschichten erzählen", betonte Ausstellungsreferent Marc Spohr. Etwa die vom Ende der Tante-Emma-Läden, die positiv konnotiert wird durch die Erfolgsgeschichte eines Einkaufswagen-Herstellers aus Leipheim, der erst mit dem Aufkommen der Supermärkte zum wirtschaftlichen Erfolg kam. "Bewusste Irritation ist oft eine zielführende Herangehensweise", so Spor.
Dass dafür gar nicht so viel bühnenbildernische Inszenierung notwendig ist, zeigt wiederum das Uwe-Johnson-Haus: Die historisch-kritische Werkedition findet derzeit quasi unter den Augen der breiten Öffentlichkeit statt, mit regelmäßigen wissenschaftlichen Tagungen, Workshops und Materialboxen für Schüler.
Detektivische Arbeit sichtbar machen
Heike Gfrereis vom Marbacher Literaturarchiv plädiert für neue Objekt-Ideen. In der von ihr kuratierten Austellung zum Fontane-Jahr 2019 in Neuruppin waren z.B. die Figurenbeziehungen in "Effi Briest" als Faden-Netzwerk dargestellt, Fontanes Wortschöpfungen durften die Besucher selbst weiterspinnen.
Literaturkritiker Lothar Müller verwies in seinem Vortrag auf das Erlebnis von Literatur "für Auge, Ohr, Hand und Hirn". Hands-on-Museen also auch für die Literatur, aber mit Hintersinn. Der Wechsel zwischen medialer Aufbereitung und dem auratischen Original-Objekt könne dabei auch gerade den Reiz ausmachen. Die Nähe zu einem Autor einerseits, dem quasi beim Schreiben über die Schulter geschaut wird, und die Einbettung in die zeithistorischen Bezüge mit einem dem Sprachduktus der Epoche und dem Autor angemessenen Sprache sieht er als guten Weg. Und: "Man sollte die detektivische Arbeit, die dahinter steckt, sichtbar machen."